Andrea Schelbert

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Journalistin

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Muotathal: Selbst der Knochenjäger ist verblüfft

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Knochenjäger neuEr ist ein fantastischer Erzähler. Er weiss Bescheid, wenn es um prähistorische Jagd, Knochenfunde oder das Leben unserer Vorfahren geht. Und er kennt unzählige Fakten über die Geschichte Muotatals: Walter Imhof, 58, Lehrer und „Knochenjäger“. Seine Faszination und seine Begeisterung sind ansteckend, sodass man gebannt jedem seiner Worte lauscht, wenn er beispielsweise über die Besiedlung des Bisistals spricht: „August Imhof von der Adelmatt war 1742 der erste Muotathaler, der auch im Winter im Bisistal wohnte. Er war verarmt und musste auf der Alp wohnen. Sein einziger Sohn kam auf dem Heimweg vom Kirchenbesuch im Muotatal in einer Lawine um‘s Leben.“

Landflucht in die Berge
Die Armut trieb damals viele Bauern dazu, tiefer gelegene Alpen in ganzjährig bewohnte Heimwesen umzuwandeln um so überleben zu können. Auslöser dieser Landflucht in die Berge waren unter anderem die Folgen der kleinen Eiszeit, die kälteren Temperaturen und die damit verbunden Strukturreform in der Land- und Alpwirtschaft. Um 1800 lebten bereits etwa 5 Familien im Bisistal, 1875 wurde erstmals unterrichtet. Die Strasse wurde 1891, die Kirche und das Schulhaus 1896 gebaut. „Ihren Höhepunkt fand die Besiedlung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als über 70 Kinder die Schule im Bisistal besuchten. Seit den 1940er Jahren ist allerdings wieder eine rückläufige Entwicklung feststellbar“, weiss Imhof.

Das Bisistal überrascht jedoch mit weiteren spannenden Fakten. Walter Imhof hatte im Sommer 2014 in der Berglibalm 1135 Meter über Meer einen sensationellen Fund gemacht. Er fand eine Feuerstelle aus der Mittelsteinzeit. Die wissenschaftlichen Analyse beweist, dass bereits 8400 vor Christus Menschen im Bisistal anwesend waren. Dies bedeutet, dass der Hobby-Archäologe auf die bisher älteste nachgewiesene Feuerstelle im Kanton Schwyz gestossen ist. „Die entdeckte Feuerstelle aus der Mittelsteinzeit ist sensationell und für den Kanton Schwyz von höchster Bedeutung“, schwärmte Urs Leuzinger von der Kantonsärchologie Thurgau. „Die Balm hat prähistorischen Jagdhorden  als Jagdstation und Basislager gedient. Die Steinzeitmenschen haben ihre Aufgaben vermutlich aufgeteilt. Einige waren auf der Jagd, andere haben die Tiere ausgeweidet, Felle präpariert und Werkzeuge sowie Waffen hergestellt“, sagt Imhof. Vor allem fleischstarke Tiere wie Steinböcke und Rothirsche wurden nachweislich erlegt. Der Knochenjäger glaubt, dass es während der Jagdzeit in der Berglibalm sehr lebhaft zu und her ging.

Kleine Muotathaler
Um- und Renovationsarbeiten im Muotathaler Kerchel sorgten 2014 auch bei Walter Imhof für einige Überraschungen. Bei den Ausgrabungen kamen erstaunliche Funde zum Vorschein. „Menschliche Skelette befanden sich nur 10 Zentimeter unter der Erdoberfläche. Die grösste Überraschung war jedoch ihr Alter. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass sie aus dem 13. Und 14. Jahrhundert stammen“, erzählt der 58-Jährige. Unsere Vorfahren waren laut Imhof bedeutend kleiner als heute. „Wir stellten bei den 12 Skeletten fest, dass die durchschnittliche Körpergrösse damals nur 1.65 Meter betrug. Die Knochen waren teilweise sehr massiv, was bedeutet, dass diese Leute streng arbeiten und vor allem schwere Last tragen mussten.“ Die Ernährung zwischen dem 13. Und 14 Jahrhundert war einseitig und ungesund. „Auf dem Speiseplan standen vor allem Getreidebrei und Mehlspeisen. Das Fleisch von Haus- und Jagdtieren sorgte für etwas Abwechslung.“ Die durchschnittliche Lebenserwartung betrug damals lediglich 30 Jahre. „Man spricht zwar immer vom wildromantischen Muotatal, doch ich glaube nicht, dass diese Menschen viel davon spürten. Das Leben war hart und forderte einiges ab. Die Kindersterblichkeit war hoch, viele Frauen starben bei der Geburt. Im Vergleich zu damals geht es uns sehr gut und wir sind wir heute extrem verwöhnt.“

Perfekte Zahnstellungen
Die grösste Verblüffung waren jedoch die Kiefer der damaligen Menschen. „Sie besassen unglaublich schöne Zahnstellungen. Die Zähne waren einer Perlenkette ähnlich aufgereiht und auch die Weisheitszähne waren vorhanden und hatten genügend Platz Daraus kann ich sehr viele Schlüsse ziehen.“ Die Damalige Ernährung erforderte einen intensiven gebrauch des Kiefers, unter anderem auch für das weich Kauen von Rinde und Leder. „Wenn wir jeden Tag Nüsse, Körner und hartes Brot essen müssten, würden unseren Zähne und damit auch die Kiefer wieder vermehrt gefordert. Mit der heutigen Ernährung aber müssen wir kaum noch intensiv kauen und beissen. Dadurch bildet sich unser Kiefer zurück und deswegen haben unsere Zähne im Kiefer kaum noch Platz.“ Eine Folge daraus sei, dass ein Grossteil der Kinder heute eine Zahnspange brauchen würde. „Das gibt mir zu denken, weil ich mich frage, welche anderweitigen Konsequenzen die Nahrungsaufnahme und die daraus resultierende Entwicklung für unsere Gesellschaft noch haben werden.“

Dank seiner jahrelangen Forschung und seiner vielen Erkenntnisse sieht der Lehrer das Muotatal heute mit ganz anderen Augen. Wenn er auf Wanderungen oder Forschungstouren unterwegs ist, stellt er sich vor, wie Jäger durch die Gegenden streiften und ihre Beute jagten. Sein grosser Traum wäre es, eines Tages Skelette aus der prähistorischen Zeit zu entdecken. Knochenfunde von Menschen würden ihm und den Anthropologen weitere wichtige Hinweise auf das Leben unserer Vorfahren geben. „Es ist möglicherweise nur eine Frage der Zeit, bis ich einen solchen Fund mache“, meint er strahlend.

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